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Marlen Reusser: "Ich brauche eine Pause."
Das WM-Zeitfahren der Frauen in Stirling nimmt für Marlen Reusser eine völlig unerwartete, enttäuschende Wendung. Noch auf der ersten Hälfte der 36,2 km langen Strecke gibt die Schweizer Goldanwärterin auf, weil sie merkt, "dass ich eine Pause brauche".
Entschlossen, kraftvoll, mit enormer Beschleunigung von der Startrampe weg - so nahm Marlen Reusser die Prüfung gegen die Uhr in Schottland in Angriff. Keine zehn Sekunden vergingen nach dem Start und schon war die Bernerin in perfekter aerodynamischer Position unterwegs.
"Ich war lange nicht mehr verletzt, lange nicht mehr krank, bin so gut in Form wie noch nie und verfüge über ausgezeichnetes Material", so hatte Reusser im Vorfeld gesagt. Auch sie selber sah sich, neben der Amerikanerin Chloé Dygert, als Anwärterin auf den Titel.
Grosser Rückstand nach 12,5 km
Doch schon bei der ersten Zwischenzeit nach 12,5 km sollte sich zeigen, dass es für Reusser - die zuvor in allen bedeutenden Zeitfahren seit Ende August 2020 immer in den Top 3 klassiert war - wohl nicht der erhoffte geschichtsträchtige Tag werden sollte. Dass sie wohl nicht als erste Schweizerin seit Karin Thürig (2005) WM-Gold im Zeitfahren gewinnen würde. Mehr als eine halbe Minute lag sie zu diesem Zeitpunkt bereits hinter der Bestzeit der nachmaligen Siegerin Dygert zurück, doch die Medaillenchancen waren durchaus noch intakt.
Nur wenige Minuten später sah man Reusser aber kopfschüttelnd abbremsen und neben dem Strassenrand ins Gras sitzen. Das Trikot mit dem Schweizer Kreuz weit offen, wurde sie von Nationaltrainer Edi Telser getröstet. Erst Stunden später erfolgte von der Athletin via SRF-Interview die Erklärung, was geschehen ist: "Ich habe das Zeitfahren nicht wegen einem mechanischen Problem aufgegeben, sondern weil es ich in diesem Moment aufgeben wollte."
Reusser: "Der Mensch ist keine Maschine"
Sie habe im Wettkampf gemerkt, dass "ich nicht bereit für dieses Zeitfahren bin, dass ich nicht hungrig bin. Ich bin für andere Leute gestartet, für alle, die mich immer so toll unterstützen." Es wäre in dieser Phase des Rennens der Moment gekommen, wo sie für den Sieg hätte aufdrehen sollen, doch "ich hatte einfach keinen Bock darauf", so die Olympia-Zweite von Tokio und WM-Zweite von 2020 und 2021.
Dass der Entscheid, einfach zu stoppen für "Kritik und Unverständnis" sorgen wird, sei ihr bewusst, so Reusser. "In dem Moment, als ich das tat, dachte ich schon selber: 'Das ist vielleicht nicht schlau, einfach zu stoppen.' Aber der Mensch ist keine Maschine. Ich kann offenbar nicht in einer solchen Folge immer Lust haben."
Sie brauche nun, so die 31-Jährige, etwas Abstand und müsse "eine Pause machen, dann kann die Lust wieder kommen. Ich bin überzeugt, dass sie wieder kommt." Reusser schloss im SRF-Interview nicht einmal aus, am Sonntag im Strassenrennen am Start zu stehen. Sie wolle nun "etwas essen und schlafen. Dann schaue ich weiter."
23. Rang für Elena Hartmann
Im Kampf um Gold setzte sich Dygert mit gut fünf Sekunden Vorsprung vor der Brown durch. Bronze ging an die Österreicherin Christina Schweinberger (1:13 zurück). Für Dygert, die nach einem schweren Sturz 2020 lange um die Rückkehr in die Weltspitze kämpfte, ist es in Schottland bereits der zweite Titel. Wenige Tage zuvor hatte die 26-Jährige auf der Bahn die Einzelverfolgung gewonnen.
Elena Hartmann war somit die einzige klassierte Schweizerin. Die in Zug wohnhafte 32-jährige Bündnerin klassierte sich mit 3:28 Minuten Rückstand auf Dygert im 23. Rang.
Heute stehen in Stirling auch die Schweizer Männer im Einsatz. Stefan Küng, im Vorjahr in Australien WM-Zweiter, und Stefan Bissegger gehören im Zeitfahren über 47,8 km zu den Mitfavoriten wie die Belgier Remco Evenepoel und Wout van Aert, der Italiener Filippo Ganna und der Brite Geraint Thomas (sda)
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