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Die erste Woche unter dem YB-Interimstrainer Joël Magnin
Seit Montag ist Joël Magnin interimistischer Cheftrainer der Young Boys. Zwei Tage vor dem Klassiker gegen den FC Basel spricht er über die mentale Verfassung und die Qualität seiner Mannschaft.
Die Sonne scheint an diesem Freitagnachmittag über Bern. Im Innern des Wankdorfstadions ist es jedoch schattig und kühl. Ein Sinnbild für die momentane Gefühlslage beim Meister.
Noch vor zwei Wochen war die gelb-schwarze Welt heil. Klar, unter Raphael Wicky versprühte die Mannschaft nicht mehr den Glanz der vergangenen Meisterjahre. Die Gegner wurden nicht mehr nach Belieben dominiert. Doch die Ergebnisse stimmten. International hatte YB zumindest resultatmässig überzeugt und im Europacup überwintert. Die Super League führte man mit grossem Vorsprung an, im Cup stand man unter den letzten acht Mannschaften, das zweite Double in Folge schien realistisch.
Doch der Wind hat gedreht. Statt die Weichen im Direktduell mit Servette endgültig auf Meisterkurs zu stellen, schmolz der Vorsprung innerhalb von einer Woche auf einen Punkt. Hinzu kam das Aus im Cup-Viertelfinal mit einem blutleeren Auftritt beim Challenge-League-Leader Sion. Zu viel für die Verantwortlichen von YB. Am Montag verkündeten sie die Trennung von Trainer Raphael Wicky.
Die YB-DNA im Blut
Interimistisch bis Saisonende installierten sie Joël Magnin als Cheftrainer. "Wir brauchen jemanden, der den Schweizer Fussball kennt und der weiss, was YB stark macht", sagte Christoph Spycher, VR-Delegierter Sport bei den Young Boys.
Überrascht sei er gewesen, als das Telefon am Montag geklingelt habe, Spycher und Sportchef Steve von Bergen ihre Pläne offenlegten, sagt Magnin vier Tage nach seiner Amtseinsetzung, als sich der 52-Jährige gemeinsam mit den beiden Routiniers Fabian Lustenberger und David von Ballmoos den Fragen der Journalisten stellt. Während der Captain und der Goalie von Aufbruchstimmung sprechen und die medial verbreiteten Gerüchte über atmosphärische Störungen innerhalb der Mannschaft ins Land der Fabeln verweisen, spricht der Trainer von der YB-DNA, die man wieder auf den Platz bringen wolle.
Joël Magnin ist durch und durch Berner, obwohl er in Neuenburg geboren wurde und seine Karriere bei den Grasshoppers lancierte. 2002 kam er von Lugano zu YB und absolvierte über 150 Spiele für die Berner. Er blieb dem Verein auch nach seinem Karriereende treu, wurde Trainer im Nachwuchs und schnupperte 2013 als Co-Trainer der Profis kurz Super-League-Luft. Nach einem Abstecher zu Xamax, wo er als Cheftrainer den Abstieg aus der höchsten Spielklasse nicht verhindern konnte, und einem kurzen Intermezzo als Co-Trainer beim FC Zürich, kehrte Magnin 2022 nach Bern zurück. Seither betreute er die U21 von YB.
Ein Lückenbüsser, der Zeit verschafft
Bis im Sommer soll er bei den Young Boys nun noch retten, was zu retten ist. Sprich: den minimalen Vorsprung gegenüber Servette über die letzten zwölf Runden bringen. Dann kehrt Magnin, so haben es die Verantwortlichen klar kommuniziert, wieder ins zweite Glied zurück. Die Wahl von Spycher und Von Bergen ist YB-like. Sie ist nicht überstürzt, aber auch nicht wahnsinnig mutig, dafür umso naheliegender. Denn: Sie bringt Zeit. Zeit, die den Verantwortlichen laut eigener Aussage gefehlt hat, was nur zum Teil stimmt.
Gedanken über einen Nachfolger von Wicky dürften sie sich schon länger gemacht haben. Schliesslich ist es ein offenes Geheimnis, dass der im Sommer auslaufende Vertrag mit dem Walliser nicht verlängert worden wäre. Nur hatten weder Spycher noch Von Bergen erwartet, dass die Mannschaft unter Wicky derart einbricht, dass schon vorzeitig ein neuer Coach aus dem Ärmel gezaubert werden muss.
Die Rolle als Lückenbüsser nimmt Joël Magnin gerne an, auch wenn er nie von einer solchen sprechen würde. Vielmehr bedankt er sich für das ihm entgegengebrachte Vertrauen und spricht von Freude im Hinblick auf die kommenden Aufgaben. "Wir wollen wieder zurück zum YB-Fussball der vergangenen Jahre, mutig auftreten und nach vorne spielen."
Eine Frage von Qualität und Mentalität
Bleibt die Frage, ob dies mit den aktuell zur Verfügung stehenden Spielern überhaupt möglich ist. Mit Filip Ugrinic und Kastriot Imeri fehlen die zwei kreativsten Köpfe in der Offensive, mit Loris Benito der Stabilisator im Abwehrzentrum. Zudem werden Top-Torschütze Jean-Pierre Nsame und Flankengeber Ulisses Garcia seit ihren Abgängen gen Como respektive Marseille schmerzlich vermisst. Spycher und Von Bergen haben es versäumt, für adäquaten Ersatz zu sorgen. Und dies nicht erst im Winter: Die Lücke, welche die Wechsel der Aushängeschilder Fabian Rieder und Christian Fassnacht hinterliessen, versuchten sie mit jungen Spielern aus dem Ausland zu schliessen. Die Neuzugänge blieben bislang hinter den Erwartungen.
Joël Magnin aber ist überzeugt von seiner Mannschaft. "Ich bin sehr positiv überrascht von der Qualität im Team. Es gibt einzelne Spieler, die noch keinen grossen Namen, aber viel Potenzial haben." Seine Aufgabe bestehe nun darin, dieses Potenzial abzurufen und daraus ein starkes Kollektiv zu formen.
Aus viel mehr, als an fussballerischen Feinheiten zu feilen, bestand Magnins Arbeit in den letzten Tagen darin, die Köpfe der Spieler freizubekommen. "Am Montag war das Selbstvertrauen nicht auf dem höchsten Level, die letzten Resultate waren für die mentale Verfassung sicherlich nicht optimal." Er habe viele Gespräche geführt, den Spielern Mut zugesprochen und Prinzipien vorgegeben, an denen sich die Mannschaft festhalten könne. Eine davon: "Einfach spielen."
Am Sonntag folgt mit dem Klassiker gegen einen ebenfalls angeschlagenen FC Basel der erste Härtetest unter dem neuen Trainer. Sollte Magnins Plan aufgehen und YB den fünften Heimsieg in Serie gegen den FCB holen, dürfte es auch den Heimfans wieder warm ums Herz werden. Gewinnen jedoch die Gäste erstmals seit Mai 2016 in Bern und fügen YB die wettbewerbsübergreifend vierte Niederlage in Folge zu, brauen sich dunkle Wolken über dem Wankdorfstadion zusammen. (sda)
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